© Anne Welsing

Peru-Seminar 2024: „Cenepa – du bist stärker als deine Probleme“

Am diesjährigen Peru-Seminar wurde unter anderem über „Just Transition“ diskutiert – den gerechten Wandel in der Zusammenarbeit zwischen Nord und Süd. Die unterschiedlichen Perspektiven führten zu einem spannenden Austausch.

Ein Foto mit einer Solidaritätsbotschaft für Cenepa – das war die spontane Reaktion der Teilnehmenden des Peru-Seminars Ende April in Köln nach einem Austausch mit Dante Sejekam. Der Präsident der indigenen Organisation ODECOFROC hatte sehr eindrücklich von der Situation des illegalen Goldabbaus im Cenepa-Tal berichtet. Seit einigen Jahren dringen illegale Goldschürfer ein, mit erheblichen Auswirkungen für die Umwelt und das soziale Leben. Gewalt und Prostitution haben zugenommen. Der Alkoholkonsum stieg rasant an. Es gab Morde von illegalen Goldschürfern untereinander, und auch die Streitigkeiten innerhalb der indigenen Gemeinden haben zugenommen. Die einen erhoffen sich vom Goldabbau Einkommen und bessere Lebensbedingungen, andere sehen die Gefahr der Zerstörung von Natur und Kultur. Indigene Vertreter*innen, die sich gegen die illegale Goldschürferei stellen, werden massiv bedroht. Der Staat ist wenig präsent.

Bereits im Vorfeld hatten sich die Seminar-Teilnehmer*innen in einem Strategiespiel mit politischer Partizipation in konfliktiven Kontexten auseinandergesetzt. Dabei schlüpften sie in die Rollen von illegalen Goldschürfern, Mitgliedern der indigenen Gemeinde und der Indigenen Autonomen Regierung sowie der peruanischen und der deutschen Regierung. Dabei wurde ihnen bewusst, wie komplex und gravierend solche Konflikte sind.

Das Beispiel des Cenepa-Tals zeigt, wie weit wir noch von einer „Just Transition“ – einem gerechten Wandel in Peru und Deutschland – entfernt sind. Diese war nämlich das Thema des diesjährigen Peru-Seminars. Was heißt eigentlich Just Transition, und ist es mehr als nur ein Schlagwort? Mit dieser Frage beschäftigten sich die 51 Teilnehmer*innen vor Ort plus 25 online – die jüngste 17 Jahre, die älteste 86 Jahre alt.

> Präsentation zum Thema „Just Transition“ herunterladen (Deutsch)

Just Transition – mehr als ein Schlagwort?

„Just Transition ist ein politisches Konzept für einen Strukturwandel hin zu einer klimaneutralen, resilienten und sozial gerechten Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung. Beim Übergangsprozess werden ökologische und soziale Herausforderungen gleichwertig berücksichtigt, mit einem besonderen Fokus auf vulnerable Bevölkerungsgruppen. Ziel ist, Klimagerechtigkeit zu erreichen und bei dem dafür erforderlichen Strukturwandel niemanden zurückzulassen, weder Einzelpersonen oder Staaten noch die zukünftigen Generationen.“ So definiert das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) den Begriff im Lexikon für Entwicklungspolitik.

Das Lateinamerikanische und karibische Forum für Klimagerechtigkeit hat eine „radikalere“ Definition: „Eine gerechte und demokratische Energiewende bedeutet einen Prozess der kollektiven und demokratischen Veränderung des derzeitigen Energie- und kapitalistischen Systems.“ Um die Energie- und Klimakrise als Teil einer Systemkrise zu überwinden, sei die Auseinandersetzung mit der Konzentration von Eigentum, Reichtum und Macht bei den Energiequellen nötig. Ziel sei eine neue „Energiekultur“, in der Energie ein Recht und ein Gemeingut ist und die auf die Rechte der indigenen Völker und Territorien sowie auf die Rechte der Mutter Erde gründet.

Diese und weitere Erklärungen im Hinterkopf, diskutierte ein bunt besetztes Podium, was dies nun in der Praxis für Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft bedeutet. Die spannende Diskussion im Anschluss an drei Inputs mit unterschiedlichen Blickwinkeln kann hier nur ansatzweise wiedergegeben werden:
Dr. Nicole Maldonado Pyschny, Länder­referentin Peru des BMZ, erklärte, dass sich der Fokus der Zusammenarbeit in den letzten Jahren stärker um Themen wie den Klimawandel und verletzliche Gruppen wie Frauen, Kinder und Indigene erweitert habe. Eine offizielle Definition zu „Just Transition“ in Peru gebe es nicht.

Für Orlando Baquero, Geschäftsführer des Lateinamerika-Vereins e.V., der in Lateinamerika aktive deutsche Unternehmen vertritt, ist Just Transition ein Prozess, der viele Faktoren umfasst – etwa Mobilität, Digitalisierung und Künstliche Intelligenz. Im „bewussten Kapitalismus“ erkennt Baquero eine neue Tendenz, die für Peru bedeutet: Energie für alle, nachhaltige Finanzierung, Infrastruktur.

Rocío Meza, eine peruanische Juristin, die lange für die Menschenrechtsorganisation Instituto de Defensa Legal (IDL) in Lima gearbeitet hat, sieht die indigenen Völker und Organisationen im Überlebenskampf. Im ganzen Land herrsche „Transition“, aber niemand sei darauf vorbereit, diese auch gerecht zu gestalten. Erdölunfälle im Amazonasgebiet würden nicht aufgearbeitet, den Unternehmer*innen fehle das Bewusstsein für ihre Verantwortung. In den letzten zehn Jahren seien 33 indigene Aktivist*innen ermordet worden.

Moderatorin Vanessa Schaeffer von der Infostelle Peru wollte wissen, wie „Just Transition“ in Peru konkret umgesetzt wird.Nicole Maldonado Pyschny bestätigte die Abwesenheit des peruanischen Staats in Regionen wie Madre de Dios. Eine direkte Zusammenarbeit des BMZ mit indigenen Organisationen sei aus rechtlichen Gründen nicht möglich, manchmal gebe es allerdings die Möglichkeit einer Zusammenarbeit mit Organisationen wie der Klimaallianz. Für das BMZ seien der Kolonialismus und der Schutz vulnerabler Gruppen sowie die Unterstützung politischer Reformen wichtige Themen.

Orlando Baquero betonte die Wichtigkeit eines offenen Dialoges mit Politik und der Zivilgesellschaft, stellte aber fest, dass die Unternehmer*innen in Peru sich nicht einig seien. Verglichen mit anderen lateinamerikanischen Ländern gebe es in Peru relativ wenig Kinderarbeit und eine geringere Diskriminierung von Frauen. Rocío Meza wies zudem auf die autonomen indigenen Regierungen als neue Instanzen im Regenwald hin, deren Anliegen die Nachhaltigkeit und das Konzept des Buen Vivir seien.

Vielfältige Themen und Aspekte

Begonnen hatte das Peru-Seminar am Freitag Abend, wie immer mit einem Gespräch zur Einordnung der aktuellen politischen Situation. Diesmal diskutierte César Bazán mit Indira Huilca, Politikwissenschaftlerin und ehemalige linke Kongressabgeordnete – siehe Bericht auf unserer Webseite.

Zur Frage der Gendergerechtigkeit und der Rolle der Frau in der peruanischen Bildungspolitik zeichnete Dr. Margarete Rolfes vom Pädagogischen Institut Paulo Freire in Lima ein kritisches Bild. In der peruanischen Bildungspolitik gebe es viele Gegensätze und Widersprüche. Themen der Gendergerechtigkeit seien kaum präsent. Die Ausbildung der Lehrkräfte zu Genderthemen und Sexualkunde sei mangelhaft. Femizide würden in den Schulen nicht thematisiert, die Rolle der Frau bei nationalen Feiertagen sei unsichtbar. Die AG-Mitglieder schlussfolgerten, dass mehr in die Ausbildung und Bezahlung von Lehrkräften investiert werden müsse. Es brauche gezielte Angebote für Mädchen und Frauen zum Empowerment, zur Selbstverteidigung und zu psychologischer Unterstützung sowie zu Elternbildung.

> Präsentation von Margarete Rolfes herunterladen (Spanisch)

Die AG „Lithium für die Energiewende – bald auch aus Peru“ beschäftigte sich mit dem Lithiumbedarf in Deutschland und Plänen zum Lithiumabbau in Peru. Eine Gefahr liegt in der Tatsache, dass das Lithium zusammen mit Uran vorkommt, ein Abbau also immer im Zusammenhang mit Uran erfolgen wird. Trotz dieser Gefahr, vieler Unsicherheiten und mangelnder Transparenz gibt es hohe Erwartungen und die Hoffnung auf gute Gewinne. Die AG kam zum Schluss, dass der Rohstoffverbrauch insgesamt reduziert und Recycling gefördert werden und dass Verkehrs- und Rohstoffwende zusammen gedacht werden müssen. Auch im individuellen Konsumverhalten sahen sie Ansatzpunkte – zum Beispiel durch die Nutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln oder der verantwortungsbewussten Handynutzung.

> Präsentation zum Thema Lithium herunterladen (Deutsch)

Die AG 3 „Partizipation bei Projekten der Klimafinanzierung“ ging der Frage nach, inwieweit der Green Climate Fund indigene Partizipation ermöglicht und damit ein Beispiel für Just Transition sein kann. Es wurde deutlich, wie komplex und kompliziert das Thema ist. Die „Zielgruppen“ haben sehr oft keine Möglichkeiten, selbst Anträge auf Finanzierung zu stellen.

> Präsentation «Partizipation bei Klimaschutz-Projekten der Klimafinanzierung» herunterladen (Deutsch)

Die AG 4 „Zivilgesellschaft in Gefahr“ beschäftigte sich mit dem Thema der „Shrinking spaces“ in Peru und mit der Rolle, die die Zivilgesellschaft zur Stärkung der Demokratie einnehmen könnte. Trotz des düsteren Panoramas, das Rocío Meza schilderte, fand die Gruppe einige Ansatzpunkte für die Solidaritätsarbeit in Deutschland: zum Beispiel, sich an mutmachenden Erfolgen zu orientieren, etwa der Verabschiedung des Lieferkettengesetzes und der EU-Norm zu entwaldungsfreien Lieferketten; die Vernetzung zu fördern und den Einfluss der sozialen Medien zu berücksichtigen.

Am Sonntagmorgen beim „Markt der Möglichkeiten“ lernten die Teilnehmenden unter anderem das Forschungsprojekt „Jaguar, Drohne, Mensch: Indigene Wachsamkeit in Amazonien“ der Universität München kennen (siehe Bericht auf infostelle-peru.de) sowie ein Filmprojekt zu Gendergewalt in Deutschland und Peru sowie das Workshop-Projekt „Erneuerbare Energien“ für junge Menschen aus indigenen Gemeinden kennen.

Am Ende waren sich alle einig, dass analoge Treffen erfrischend und motivierend für das eigene Engagement sind, dass das Panel aufgrund der sehr unterschiedlichen Perspektiven auf den Begriff „Just Transition“ besonders spannend und der Austausch zwischen Jung und Alt, Peruaner*innen und Deutschen, Neuen und „Alten“ eine große Bereicherung war.

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