Für wen gilt der Ausnahmezustand, für wen nicht?
Am 15. März erklärte Präsident Vizcarra wegen der Corona-Pandemie für ganz Peru den Nationalen Ausnahmezustand, verbunden mit einer strengen Ausgangssperre. Ausgenommen von den Auflagen wurden alle Aktivitäten, die für die Grundversorgung der Bevölkerung nötig sind. Die Minenwirtschaft gehörte nicht dazu.
Schon am 17. März erklärte das Energie- und Bergbauministerium jedoch, dass die Bergbauaktivitäten sehr wohl fortgeführt werden können. Zuvor hatte der Unternehmerverband CONFIEP erheblichen Druck auf die Regierung ausgeübt. Es sei notwendig, so das Ministerium, alle „kritischen Tätigkeiten der Minenwirtschaft und angrenzenden Sektoren mit möglichst wenig Personal aufrecht zu erhalten“. Als „kritischen Tätigkeiten“ wurden fast alle Arbeiten vom Abbau der Mineralien bis zum Transport an die Küste definiert. Wieviel Personal dafür jeweils nötig ist, sollen die Unternehmen selbst festlegen. Sicherheit, Gesundheit und Umweltschutz seien gewährleistet.
Angestellte und Anwohner*innen der Minenprojekte Antapaccay (Cusco), MMG Las Bambas (Apurímac), Southern (Tacna) u.a. beklagen, dass die Unternehmen uneingeschränkt weiterarbeiteten, als ob es keine Coronakrise und keinen Ausnahmezustand gäbe.
Der Wirtschaftswissenschaftler Juan Aste Daffos kritisierte den Erlass vom 17. März: Die so genannten „kritischen Tätigkeiten“ seien sinnvoll, um Probleme im Abbaugebiet zu vermeiden, Maschinen und Anlagen betriebsfähig zu halten, Umweltschäden zu verhindern und die wenigen Arbeiter*innen, die dazu nötig sind, mit Lebensmitteln zu versorgen. Die Fortführung des Mineralienabbaus, der Transport zu den Häfen und sogar der Bau neuer Projekte könnten damit aber nicht gemeint sein.
Auch die Gewerkschaften protestierten. Nachdem die Krise sich weiter verschärfte, reduzierten einige Bergbauunternehmen ihre Aktivitäten. Manche schickten zumindest einen Teil ihrer Arbeiter*innen nach Hause.
Nach den Protesten erklärte Präsident Vizcarra am 20. März, dass die Bergbauaktivitäten nur dort weitergeführt werden dürften, wo die Minen weit abgelegen und räumlich abgegrenzt sind, damit Gesundheitsrisiken für die Arbeiter*innen und die Bevölkerung ausgeschlossen werden können. „Das Konzept ist die soziale Isolierung“, sagte er. „Aber wir wissen von Fällen, wo die Arbeiter*innen hin- und herfahren. Das verstößt gegen die Regeln. Was für die Kleinen gilt, muss auch für die Mittleren und die ganz Großen gelten.“
Minenunternehmen gefährden die Gesundheit ihrer Angestellten
Dennoch arbeiteten die Unternehmen weiter. Arbeiter*innen von Firmen, die für die Lagerung und Verschiffung von Mineralien im Hafen von Callao zuständig sind, erklärten, sie hätten Angst um ihre Gesundheit. Zwei Arbeiter hätten Symptome von Covid 19 gezeigt und seien nach Hause geschickt worden. Weitere Informationen gab es nicht, die anderen Arbeiter*innen, die mit den beiden Kontakt hatten, müssten trotz Ansteckungsrisiko weiterarbeiten. Gewerkschaftsvertreter*innen berichten, dass viele Menschen entgegen der Verordnung weiter zur Arbeit gingen, weil sie Angst um ihren Arbeitsplatz haben. Arbeiter*innen der Logistik- und Transportunternehmen Perubar, Impala Terminals und Ferrovías berichten, dass sie zur Arbeit verpflichtet werden, ohne jegliche Schutzmaßnahmen. In allen drei Firmen wird rund um die Uhr gearbeitet, die Schichten sind bis zu zwölf Stunden lang. Bis zum 2. April waren drei Minenarbeiter*innen nachweislich mit dem Virus infiziert. 50 Angestellte im Bergarbeiterlager von Antamina in der Region Ancash blockierten den Eingang zur Kantine, nachdem sie von einem positiv getesteten Kollegen gehört hatten und trotz mehrfacher Nachfragen keine weiteren Informationen erhalten hatten. Doch die Geschäftsleitung beschwichtigte und erklärte,es bestehe keine Gefahr. Auf die Forderung nach Corona-Tests für die Kolleg*innen gab sie keine Antwort.
Berechtigte Ausnahmeregeln oder ungerechtfertigte Ungleichbehandlung?
Das bergbaukritische Netzwerk Red Muqui kritisiert, dass die Regierung die Ausgangssperre nicht konsequent umsetzt. Seit dem ersten Tag der Ausgangssperre wird von verschiedenen Privatunternehmen berichtet, die ihre Arbeiter*innen weiter beschäftigen, obwohl sie nicht für die Grundversorgung der Bevölkerung tätig sind: Agrarexportfirmen, Textilunternehmen, Call Center und eben auch Minenunternehmen. Red Muqui zeigt sich sehr besorgt darüber, dass der Staat die Unternehmen weder kontrolliert noch sanktioniert und damit die Arbeiter*innen und ihre Familien der Gefahr einer Infektion mit dem Covid 19-Virus aussetzt.
„Grundsätzlich kann man es rechtfertigen, dass im Bergbausektor weiter gearbeitet wird“, meint dagegen der Ökonom Armando Mendoza in der Zeitung La República. „In der aktuellen Situation müssen der wirtschaftliche Schaden so gering wie möglich gehalten und Schlüsselindustrien, soweit möglich, aufrechterhalten werden. Natürlich nicht blind und nicht auf Kosten der Sicherheit der Personen.“
José de Echave von der Nichtregierungsorganisation CooperAcción sieht das anders. „Covid 19 ist in Peru bisher ein städtisches Problem: 99% der Fälle treten in den Städten auf. Der ländliche Raum ist bisher nicht betroffen. Die Minen befinden sich vor allem in ländlichen Gebieten, aber ihre Angestellten kommen aus der Stadt und sind sehr mobil, sie kommen und gehen aus den Bergarbeiterlagern und reisen in ihre Herkunftsstädte. Diese Entscheidung bedeutet einen Rückschritt und erhöht das Risiko der Ausbreitung des Virus“, warnt er.
Unterdessen hat die Kongressabgeordnete Mirtha Vázquez (Frente Amplio) eine Anfrage an die Energie- und Bergbauministerin gestellt. Sie möchte wissen, warum die Bergbauunternehmen eine Ausnahmegenehmigung von den Regelungen des Ausnahmezustands erhalten und damit die Gesundheit der Minenarbeiter*innen wissentlich gefährden. Dies sei eine ungerechtfertigte Bevorzugung der Minenunternehmen gegenüber anderen Industriezweigen.
Auch der illegale Bergbau geht weiter
Auch viele illegale Minen arbeiten weiter wie gewohnt. So berichten etwa Bewohner*innen der Comunidad Diamante Azul in der Region Loreto, dass die illegalen Minenarbeiter*innen den Ausnahmezustand ausnutzten. „Für sie ist es sogar besser jetzt. Gerade kam ein Boot mit Öl hier vorbei. Wir sehen also, dass sie weiter arbeiten. Seit die Ausgangssperre verhängt wurde, ist es noch einfacher für sie, da niemand mehr vorbei kommt“, beklagen Bewohner*innen von Diamante Azul.
Annette Brox
2 Gedanken zu “Ausnahmezustand: Privilegien für die Bergbauunternehmen”
In der Tat meldet newmont.com am 17.3. wegen Einschränkungen der Regierung in der Pandemie „safely ramping down mining operations at Yanacocha“ mit dem Hinweis auf “health and safety of our workforce and host communities“, auch wenn es (noch) keine Corona-Fälle bei Newmont gebe. Das wäre allenfalls besonderer Erwähnung wert, weil nicht auf mögliche Ausnahmen gedrängt wird.
Weitet man den Blick, so kann man feststellen: “Größte Goldmine Perus” gilt zunächst mal für die räumliche Ausdehnung; die Produktion ist seit Jahren rückläufig, gemessen an der Produktion steht Yanacocha weltweit schon seit langem nicht mehr unter den big five oder ten. Wobei wir keine sicheren Infos haben, ob der Produktionsrückgang an gestiegenen Kosten (etwa durch weitgehende Ausbeutung und geringeren Goldgehalt des Gesteins) oder (bis vor kurzem) gesunkenem Goldpreis oder beidem oder anderem lag. Daher kann ein Stopp wegen Corona auch aus anderen Gründen eine ´passende´ Unterbrechung sein, oder auch weil die Raffinerien in der Schweiz wegen Corona ihren Betrieb vorübergehend eingestellt haben und die Flug-Frachtkosten gestiegen sind. Diese Marktfaktoren, v.a. das Angebot ist schlicht knapp geworden, haben andererseits den Goldpreis mit in die aktuelle Höhe getrieben (Allzeithoch in Euro) und machen auch teuren Abbau bald wieder lukrativ. Leider.
Hartmut Heidenreich, Kampagne Bergbau Peru
Warum ist es der Infostelle keine Notiz wert, dass die grösste Goldmine Perus, Yanacocha, die Produktion wegen Corona sistiert hat? Eure Einschätzung dazu hätte mich interessisert.