Protest gegen das neue Forstgesetz © Arlen Ribeira

Gegen die Koalition der Macht: Es bewegt sich etwas

In den letzten Monaten wollte der peruanische Kongress mehrere Gesetze durchsetzen, die die Verfassung, den Rechtsstaat und die Gewaltenteilung mit Füßen treten. Dies hat Reaktionen im In- und Ausland hervorgerufen, die uns hoffen lassen, dass wir die vielfältigen Krisen in unserem Land doch noch umkehren können.


Quelle: Pilar Arroyo, IBC Coyuntura Juni 2024
Zusammengefasst und übersetzt von Annette Brox


Welche Ziele verfolgt der Kongress?

Im Kongress gibt es ein Bündnis zwischen der extremen Rechten (Fuerza Popular, Alianza para el Progreso, Avanza País und Renovación Popular) und der extremen Linken (Perú Libre, Bloque Magisterial und Perú Bicentenario), dem sich auch weitere Gruppierungen angeschlossen haben. Das sind ihre Ziele:

Meinungsvielfalt unterdrücken

Die vorherrschende ultrakonservative Denkweise in religiösen wie in politischen Fragen schränkt das Recht auf freie Meinungsäußerung ein. So wurde eine umfassende Sexualerziehung in den Schulen verboten und die Verwendung einer inklusiven, gendergerechten Sprache in der öffentlichen Verwaltung untersagt. Ein neues Filmgesetz schränkt die staatliche Unterstützung für die nationale Filmproduktion ein und zielt dabei auf Projekte mit regierungskritischen Inhalten ab. Es überlässt die Entscheidung, welches Drehbuch zugelassen wird und welches nicht, der Willkür der Machthabenden. Eine weitere Gesetzesinitiative kam dem Versuch gleich, die 927 Nichtregierungsorganisationen im Land praktisch abzuschaffen, die sich für Menschenrechte, Geschlechtergerechtigkeit und Umweltschutz einsetzen und gegen Straflosigkeit und Korruption kämpfen und damit im Widerspruch zu den Zielen der Regierungskoalition stehen.

Gewinnorientierte Interessengruppen begünstigen

Begünstigt werden die Inhaber von privaten Universitäten, denen es gelungen ist, die Nationale Aufsichtsbehörde für die universitäre Ausbildung (SUNEDU) zu zerschlagen, die Betreiber des informellen öffentlichen Nahverkehrs, und ganz allgemein diejenigen, die in der staatlichen Aufsicht und Regulierung ein Hindernis für ihre Profitinteressen sehen.

Zudem wurde eine Reform des Rentensystems verabschiedet, das die privaten Rentenfonds (AFP) begünstigt. Die Versicherten können nicht mehr wie bisher einen Teil ihrer Rentengelder im Voraus beziehen. Außerdem wurde eine so genannte „Verbraucherrente” geschaffen, die zu einem Prozent aus der Mehrwertsteuer finanziert wird. Ein solches Rentensystem, das eine Mogelpackung darstellt, gibt es sonst nirgendwo auf der Welt. Profitieren werden von dieser „Verbraucherrente” nicht die zukünftigen Rentner*innen, sondern die Rentenfonds.

Die illegale Wirtschaft unterstützen

Illegaler Holzeinschlag und Bergbau, Menschen- und Drogenhandel sowie der Handel mit Land und Wildtieren sind auf allen staatlichen Ebenen immer mehr präsent. Und sie erfahren eine wachsende Akzeptanz in der Bevölkerung, da sie Arbeitsplätze schaffen und weitere Vorteile in Regionen versprechen, in denen der Staat nicht präsent ist.  Es ist offensichtlich, dass manche Kongressabgeordnete den Interessen dieser illegalen Wirtschaft dienen, etwa mit der Änderung des Forst- und Wildtiergesetzes (InfoPeru berichtete).

Machtkonzentration

Der Kongress soll zur „ersten Macht des Staates” werden.  Wie im Fujimorismus der 1990er Jahre werden alle demokratischen Institutionen demontiert. Das Verfassungsgericht besteht bereits aus Marionetten und hat alle vom Kongress verabschiedeten – verfassungswidrigen – Gesetze bestätigt. Die Ombudsstelle für Menschenrechte (Defensoría del Pueblo) handelt nach ihren Interessen. Die Nationale Rechnungsprüfungsstelle (Contraloría General de la República) ändert Urteile ab, die sich gegen einzelne Kongressmitglieder richten. Jetzt soll auch die Kontrolle über die Staatsanwaltschaft gesichert werden. Oberstaatsanwälte sollen entlassen und Ermittlungsbefugnisse an die Nationalpolizei übertragen werden.

Straffreiheit

Gegen 67 Mitglieder des Kongresses laufen insgesamt 729 Ermittlungsverfahren wegen verschiedener Straftaten.  Der Versuch, mit neuen Vorschriften die Strafverfolgung zu behindern, ist offensichtlich:

Die Definition einer „kriminellen Vereinigung“ wurde geändert. Ab jetzt gelten nur noch Gruppen als kriminell, die Straftaten begehen, welche mit einer Strafe von mehr als sechs Jahren geahndet werden. Damit werden Korruption, Einflussnahme, Erpressung, Entführung und Menschenhandel von dieser Definition ausgeschlossen, was die Bekämpfung dieser Verbrechen erschwert.

Durchsuchungen bei Verdächtigen oder Personen, die an einer mutmaßlichen Straftat beteiligt sind, dürfen ab sofort nur noch in Anwesenheit der Person, gegen die ermittelt wird, und ihres Anwalts durchgeführt werden. Das ist absurd, da bei vorheriger Ankündigung alle Beweise beseitigt werden können.

Politische Parteien können nicht mehr als kriminellen Vereinigungen bezeichnet werden. Das nutzt einigen Parteien im Kongress, gegen die derzeit als kriminelle Vereinigungen ermittelt wird, unter anderem Fuerza Popular (Keiko Fujimori), Renovación Popular (Rafael López Aliaga) und Perú Libre (Vladimir Cerrón).

Schließlich wurde ein Gesetz verabschiedet, das die Verjährung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen, die vor 2002 begangen wurden, ermöglicht.

Machterhalt

Im Wissen um die große Ablehnung in der Bevölkerung will die Kongressmehrheit auch die Wahlbehörden (ONPE, RENIEC und JNE) und damit die Wahlergebnisse kontrollieren.  Dazu sollen auch der Nationale Justizrat (JNJ) abgeschafft und verschiedene Wahlvorschriften geändert werden. Um die Eintragung neuer Parteien zu verhindern, wurde die derzeitige Anforderung von 26.000 Unterschriften auf über 750.000 Unterschriften erhöht. Regionale Gruppierungen sollen nicht mehr zu Wahlen zugelassen werden. Sie sind seit 2006 mit durchschnittlich 62,8 Prozent die größten Gewinnerinnen bei Kommunal- und Regionalwahlen.

Die Politik des Kongresses stößt auf immer stärkere Ablehnung

Es gibt Anlass zur Hoffnung, dass  die Opposition gegen die Strategien des Kongresses wächst.

Auf internationaler Ebene lehnten die 16 Botschaften – unter ihnen die von Deutschland und der der Europäischen Union ­– in einem gemeinsamen Kommuniqué das „Anti-NGO-Gesetz“ ab.

Die Vereinten Nationen und der Interamerikanische Gerichtshof für Menschenrechte haben eindeutig erklärt, dass der Gesetzentwurf zur Verjährung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen gegen das Völkerrecht verstößt. Außerdem erklärte der UN-Hochkommissar für Menschenrechte, Volker Turk: „In den letzten Monaten hat der peruanische Kongress eine Reihe von Gesetzesmaßnahmen durchgesetzt, die die Unabhängigkeit der Justiz und der Wahlen untergraben, wichtige Fortschritte im Justizsystem und bei der politischen Teilhabe von Frauen rückgängig machen und die Vereinigungs- und Meinungsfreiheit einschränken könnten.”

Auf nationaler Ebene war ein gemeinsames Kommuniqué der wichtigsten Vertreter der peruanischen Wirtschaft und der Gewerkschaften ein wichtiger Meilenstein. Sie lehnen die Neuregelungen zu den „kriminellen Vereinigungen“ ab: „Die Entscheidungen des Kongresses [gefährden] die öffentliche Sicherheit und den Kampf gegen das organisierte Verbrechen”, heißt es.

Der indigene Dachverband AIDESEP rief zu einer Demonstration vor dem Justizpalast auf, um „gegen das Knebelgesetz, die Schikanen gegen Organisationen, die die Grundrechte verteidigen, und die Zerstörung des Amazonasgebiets” zu protestieren.

Es haben sich auch verschiedene Bürgerinitiativen gebildet, aus Platzgründen seien hier nur zwei erwähnt:

Die „Demokratische Initiative“. Sie ruft alle demokratischen Kräfte des Landes auf, eine „Alternative der nationalen Einheit“ zu gründen und folgende Punkte zu fordern:

  • vorgezogene Parlamentswahlen, wie sie auch von mehr als 80 Prozent der peruanischen Bürger*innen gefordert werden
  • die Aufhebung der neuen Wahlgesetze und der verfassungswidrigen Gegenreformen
  • die Einrichtung eines nationalen Runden Tisches aller demokratischen Kräfte mit Unterstützung der OAS und der Vereinten Nationen

Initiative „Dringlichkeit eines Einigungspaktes“. Angesichts der größten Krise dieses Jahrhunderts schlagen die Initiator*innen den Neuaufbau des Landes unter anderem mit folgender Agenda vor:

  • menschenwürdige und gut bezahlte Arbeitsplätze und ein gerechtes Steuersystem
  • Sicherheit und Kampf gegen die Korruption
  • volle Gleichberechtigung; keine Diskriminierung aufgrund von Hautfarbe, geschlechtlicher Identität, sexueller Orientierung oder politischer Ideen
  • Achtung der Menschenrechte; zügige Verurteilung von Dina Boluarte und allen Verantwortlichen für die Unterdrückung und Ermordung von peruanischen Bürger*innen während der Proteste 2022/23
  • Wertschätzung und Förderung der Landwirtschaft und Schutz der Umwelt angesichts der Bedrohung durch den Klimawandel
  • demokratische Mit- und Selbstbestimmung der kleinbäuerlichen und indigenen Gemeinden
  • ein neuer Sozialpakt, ohne Zwang und im Konsens

Neue Initiativen und Forderungen gibt es auch von Seiten der kirchlichen Laien. In einem gemeinsamen Kommuniqué von Resucita Perú, Equipos Docentes del Perú (EDOP) und der Fraternidad Laica Carlos de Foucauld de Lima heißt es: „Aus Sorge um die Verteidigung der Demokratie und die Gültigkeit der Menschenrechte […] fördern [wir] Räume des Dialogs, des Widerstands und des Kampfes, um die antidemokratischen, autoritären und diktatorischen Maßnahmen zu stoppen, die in unserem Land immer stärker vom Kongress und der Exekutive umgesetzt werden.”

Der Erzbischof von Lima und Primas von Peru, Carlos Castillo Matasoglio, wies am Fronleichnamsfest in Lima auf den Hunger in der Bevölkerung hin, auf die Korruption und die ungerechten Gesetze. Er fragte: „Wie ist es möglich, dass Gesetze gemacht werden, die bestimmte Leute begünstigen und die Regionen daran hindern, sich frei an der Kandidatur zu beteiligen, um ihre Regionen führen zu können, und stattdessen einige Leute alles monopolisieren und mit dem Staat machen, was sie wollen? Wie ist es möglich, dass sie die Wasserversorgung privatisieren wollen, wo es doch die Pflicht […] des Staates ist, dafür zu sorgen, dass es Wasser für alle gibt?“

Marianella Ledesma, ehemalige Präsidentin des Verfassungsgerichts sagte, die Zivilbevölkerung habe das Recht, „zur Verteidigung der verfassungsmäßigen Ordnung aufzubegehren. Niemand schuldet denjenigen Gehorsam, die unter Missachtung der Verfassung und der Gesetze öffentliche Ämter bekleiden.”

Und die Bevölkerung von Cusco brachte ihren Protest bei der „Parade der Allegorien“ im Festmonat von Cusco zum Ausdruck. Obwohl die Polizei schon im Vorfeld versuchte, die Herstellung von regierungskritischen Allegorien zu verhindern, und den Beginn der Parade verzögerte, um die Allegorien zu zensieren, gelang es Menschen es trotzdem, ihrem Unmut bei der Parade Ausdruck zu verschaffen. Die Allegorie der Ratte, die eine Rolex trägt, wurde sehr gefeiert.

An den verschiedensten Fronten wächst also die Ablehnung der Ziele des Kongresses und der autoritären und mafiösen Koalition, die das Land zerstört. Ich glaube, das sollte uns in der Hoffnung bestärken, dass wir mit der Hilfe aller die Entwicklung umkehren können.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert