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Die Umsetzung des Lieferkettengesetzes ist kompliziert

Im April nahm eine Vertreterin der Infostelle Peru an der Hauptversammlung von Bayer teil. Dabei ging es vor allem um kritische Fragen zu den Tätigkeiten des Unternehmens in Peru. An diesem Fall wird deutlich, wie begrenzt die Möglichkeiten sind, Unternehmen zur Einhaltung ihrer Sorgfaltspflicht zu zwingen.

Vor mehr als einem Jahr trat in Deutschland das Lieferkettengesetz in Kraft. Doch haben sich die Arbeitsbedingungen in den Produktionsländern dadurch tatsächlich verbessert? Dieser Frage ging die Infostelle Peru am Beispiel des deutschen Großkonzernes Bayer AG nach, der im peruanischen Ica im Saatgut-Bereich tätig ist.

Die Nichtregierungsorganisation PerúEquidad berichtet, dass der Dialog zwischen Bayer und seinen Arbeitnehmer*innen zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen zunächst vielversprechend verlief. Dies nachdem PerúEquidad in zwei Berichten die Situation von Arbeitnehmer*innen in deutschen Unternehmen in Peru untersucht hatte (siehe Bericht von Februar 2023), über deren Ergebnisse nicht nur die Bayer AG, sondern auch das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) in Kenntnis gesetzt wurde. Insbesondere untersuchte PerúEquidad die Arbeitsverhältnisse und die Gewährleistung der Koalitionsfreiheit in den deutschen Unternehmen. Im Bericht kritisierte PerúEquidad unter anderem die Risiken, denen die Arbeiter*innen durch den Kontakt mit Agrochemikalien ausgesetzt sind, und mögliche gewerkschaftsfeindliche Praktiken von Bayer.

In Folge dessen reiste im Dezember 2023 Dante Pesce González, Bayers Senior Advisor für Nachhaltigkeit, nach Peru, um sich die Situation vor Ort anzuschauen. Er kündigte an, dass das Unternehmen bald entsprechende Maßnahmen treffen würde, beispielsweise im Bereich Gesundheitsschutz. So sollte etwa der Zugang der Arbeitnehmer*innen zu Trinkwasser gewährleistet werden.

Seitdem sind jedoch Monate vergangen, ohne dass bekannt wurde, ob und welche Maßnahmen tatsächlich ergriffen wurden oder wann dies vorgesehen ist. Angesichts dieser Situation stellt sich die Frage, welche weiteren Schritte von den Arbeitnehmer*innen sowie den unterstützenden NGOs unternommen werden können.

Beschwerdemöglichkeiten gemäß Lieferkettengesetz

Ein konfrontatives Vorgehen mit Hilfe der Mechanismen, die das Lieferkettengesetz vorsieht, ist nur bedingt schlagkräftig: Geschützt wird nur ein eng gefasster Katalog der wichtigsten Arbeiter*innenrechte, wie das Verbot von Kinder- und Zwangsarbeit, das Recht auf Sicherheit am Arbeitsplatz und einen angemessenen Lohn sowie die Koalitionsfreiheit. Umweltbezogene Aspekte werden vom Gesetz kaum berücksichtigt.

Zudem verpflichtet das Gesetz die Unternehmen lediglich, im Rahmen eines angemessenen Sorgfaltsmanagements nach Möglichkeit auf die Prävention und Bekämpfung von Menschenrechtsverletzungen innerhalb ihrer Lieferkette hinzuarbeiten. Wo es trotz Berücksichtigung dieser schwammig gehaltenen Sorgfaltspflichten zu Menschenrechtsverletzungen kommt, werden die Unternehmen auch weiterhin nicht haftbar gemacht.

Die entscheidendere Hürde besteht jedoch darin, dass das Lieferkettengesetz den Betroffenen und Menschenrechtsverteidiger*innen nur sehr begrenzte Möglichkeiten zur Durchsetzung der unternehmerischen Sorgfaltspflichten gewährt. Zivilklagen gegen sorgfaltspflichtwidrig handelnde Unternehmen werden durch das Gesetz explizit ausgeschlossen.

Laut Lieferkettengesetz bestünde die Möglichkeit, ein verwaltungsrechtliches Verfahren unter Einbeziehung des BAFA einzureichen. Der Erfolg solcher Verfahren ist jedoch unsicher. Von Amts wegen wird das BAFA entweder in Fällen aktiv, in denen Verstöße gegen die Sorgfaltspflicht bekannt wurden, oder auf expliziten Antrag betroffener Arbeiter*innen. Bei der Beurteilung verfügt die Behörde jedoch über einen Ermessensspielraum – und Menschenrechtsverteidiger*innen befürchten, dass dieser zugunsten der Unternehmen genutzt werden könnte. Schließlich wurden in den bisher behandelten Fällen betroffene Arbeitnehmer*innen und Menschenrechtsverteidiger*innen nicht in die Verfahren miteinbezogen. Mit anderen Worten: Die Arbeit des BAFA findet aus Sicht der Zivilgesellschaft in einer Blackbox statt, die Verfahren sind undurchsichtig und bis zu einem gewissen Punkt vom Gutdünken der Behörde abhängig.

Für Abhilfe könnten die Verwaltungsgerichte sorgen, doch auch solche Verfahren sind langwierig und kompliziert. Die juristischen Möglichkeiten, effektiv gegen unternehmerische Sorgfaltspflichtverletzungen vorzugehen, sind somit begrenzt. Was zur Befürchtung führt, dass das Lieferkettengesetz nicht viel mehr ist als eine Drohkulisse, um Unternehmen zu einer kooperativen Haltung zu bewegen. Eine Drohkulisse, die kollabieren dürfte, falls sich zeigt, dass das BAFA und die zuständigen Gerichte das Gesetz unternehmensfreundlich auslegen.

Öffentlichkeitsarbeit als Druckmittel

Angesichts dessen bleibt der Zivilgesellschaft vor allem ein Weg: die Öffentlichkeitsarbeit. Möglicherweise sorgen Verstöße gegen gesetzliche Regeln für mehr Empörung als „nur“ die Missachtung von menschenrechtlichen Standards – und schaden so dem Ruf der Unternehmen.

In diesem Zusammenhang ist – nebst Medienarbeit und Protestaktionen – die Teilnahme an öffentlichen Hauptversammlungen der betreffenden Unternehmen eine gute Möglichkeit für kritische Fragen. Und so beschloss die Infostelle Peru, die Chance zu nutzen, um an der Bayer-Hauptversammlung präsent zu sein, die am 26. April 2024 online stattfand. Diese Entscheidung wurde in enger Absprache mit PerúEquidad getroffen, und auch die Fragen an den Bayer-Vorstand wurden gemeinsam ausgearbeitet, unter anderem:

  • Zu welcher Einschätzung kam Bayer bei der internen Prüfung in Ica im Dezember 2023?
  • Hat Bayer seither Maßnahmen getroffen, und wenn ja, welche? Insbesondere Maßnahmen, um die Beziehung mit den Gewerkschaften zu verbessern, damit relevante Risiken erkannt und Präventions- oder Abhilfemaßnahmen ergriffen werden können?
  • Wie stellt Bayer sicher, dass die internen Beschwerdeverfahren effektiv sind und zur Lösung der mitgeteilten Probleme beitragen?

Die Antwort fiel, wie zu erwarten, kurz, schematisch und allgemein aus:

Dante Pesce Gonzáles hat im Auftrag von Bayer Peru besucht und sich sowohl mit den Beschwerdeführern als auch mit Bayer-Mitarbeitenden, dem Bayer-Management und anderen Experten getroffen. Als Resultat wurde das lokale peruanische Bayer-Management über die Auswirkungen des Lieferkettegesetzes aufgeklärt. Dante Pesce präsentierte den Fall außerdem im ESG-Ausschuss des Aufsichtsrates, in der Bayer AG und deren Nachhaltigkeitsrat, und es wurden folgende Maßnahmen vorgeschlagen:

  • Schulungen zur Sicherstellung der Einhaltung von Gesetzen zum Schutz von Menschenrechten
  • Adressierung unserer Menschenrechtsprioritäten
  • Aufbau eines sinnvollen Stakeholder-Engagements
  • Verbesserung der Zugänglichkeit unserer Beschwerdekanäle
  • Stärkung der internen Entscheidungsprozesse zu Menschenrechten 
  • Förderung von Operationalisierung und vollständige Integration in Managementsysteme und unsere Geschäftsprozesse.

Wenngleich diese Antworten wenig Aussagekraft haben, bot sich durch unsere Teilnahme dennoch die Möglichkeit, Mitglieder des Vorstands direkt mit der aktuellen Situation in Peru zu konfrontieren. Zudem nahmen an der Online-Hauptversammlung einige tausend Personen teil.

Fazit

Ob die bisher ergriffenen Maßnahmen Erfolg haben, werden die nächsten Monate zeigen. Bisher hat sich an der Situation der Arbeiter*innen vor Ort wenig verändert. Ein kleiner Hoffnungsschimmer besteht in der Richtline Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CSDDD), die im März 2024 auf europäischer Ebene verabschiedet wurde: Sie schützt die menschenrechtliche Position stärker als das Lieferkettengesetz und nimmt auch umweltbezogene Pflichten stärker ins Visier. Unter anderem verpflichtet sie Unternehmen zur Ergreifung von Sorgfaltsmaßnahmen hinsichtlich der Aktivitäten mittelbarer Zulieferer.

Gleichwohl wird auch die CSDDD nicht alle Probleme lösen: So bleiben – ähnlich wie beim Lieferkettengesetz – die von den Unternehmen zu ergreifenden Maßnahmen schwammig, und der Ermessensspielraum bleibt groß. Ganz abgesehen davon, dass die Richtlinie nur für Unternehmen mit über 1000 Mitarbeiter*innen in der EU und einem Jahresumsatz von 300 Millionen Euro gelten wird.

Es bleibt dabei: Die Verteidigung und Durchsetzung von Arbeiter*innenrechten in globalen Lieferketten deutscher und europäischer Unternehmen ist kompliziert. Das Lieferkettengesetz erhöht zwar den Druck auf Unternehmen, die zur Vermeidung staatlicher Sanktionen sowie öffentlicher Ächtung vermehrt zur Kooperation bereit sein dürften. Die Möglichkeiten, die Unternehmen zur Einhaltung ihrer Sorgfaltspflichten zu zwingen, bleiben jedoch begrenzt.


Aktuell: Lieferkettengesetz in Gefahr

Die Perspektiven für die effektive Durchsetzung von Menschenrechten in den globalen Lieferketten deutscher Unternehmen sind seit einem Auftritt von Bundewirtschaftsminister Robert Habeck am 7. Juni 2024 noch trüber geworden: Habeck plädierte im Rahmen einer Veranstaltung des Verbandes deutscher Familienunternehmer dafür, die Anwendung des deutschen Lieferkettengesetzes bis zur Umsetzung der europäischen Lieferketten-Richtlinie für zwei Jahren zu pausieren.

Seinen Vorstoß begründete der grüne Minister mit der stagnierenden Wirtschaft und der fehlenden Akzeptanz von Unternehmen für das Gesetz. Zuspruch erhielt Habeck von Unternehmensverbänden sowie von FDP-Justizminister Marco Buschmann. Die Zivilgesellschaft sowie Politiker*innen von SPD und den Habecks eigener Partei, den Grünen, reagierten auf den Vorschlag mit Irritation und Entsetzen. Der Ampelkoalition und der gesamten Gesellschaft dürften (erneut) hitzige Debatten über die Zukunft der deutschen und europäischen Lieferkettengesetzgebung bevorstehen.

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